Als der Alpinismus laufen lernte

Mont Ventoux Blick Schuppen

Francesco Petrarca auf dem Mont Ventoux

Ob er überhaupt oben war, ob dies – gegebenenfalls – am 26. April 1336 geschah, und ob er tatsächlich, wie er vorgibt, seinen Bericht noch in gleicher Nacht niederschrieb – all dies ist umstritten. Unstreitig bildet aber der Bericht des Dichters und Humanisten Francesco Petrarca von seiner Besteigung des Mont Ventoux im Jahr 1336 einen Markstein, viele sagen den Beginn des Alpinismus. Denn Petrarca war, soweit ersichtlich, der erste, der zweckfrei und aus Interesse an der Natur einen Berg der Alpen erklomm. Jedenfalls war er der erste, der darüber einen literarischen Text verfasste. Daher gilt Petrarcas Bericht von der Besteigung des Mont Ventoux zugleich als Geburtsstunde des Alpinjournalismus.

Pont Avignon

Francesco Petrarca war mit seinem aus der Toskana verbannten Vater im Jahr 1310 im Alter von 6 Jahren nach Avignon gekommen. Der als Anwalt tätige Vater nahm für sich und seine vierköpfige Familie eine Wohnung im circa 20 Kilometer nordöstlich gelegenen Carpentras, da Avignon als neuer Sitz der Kurie überfüllt war. In Carpentras hatte der junge Petrarca den Mont Ventoux und die westlichen Alpen ständig vor Augen. Glaubt man seinem Bericht, so trug er sich schon seit langem mit den Gedanken, den markanten, weithin sichtbaren Mont Ventoux einmal zu ersteigen. Ein Gedanke, der den damaligen Menschen, die in den Ebenen genug Sorgen hatten, normalerweise nicht in den Sinn kam.

Nach Studium der Rechtswissenschaften in Montpellier und Bologna widmete sich Petrarca in Avignon dem Studium der antiken Literatur und verfasste die berühmten Laura-Gedichte. Im Alter von knapp 32 Jahren setzte er dann gemeinsam mit seinem Bruder und zweier Diener seinen lange gehegten Plan in die Tat um und bestieg den Mont Ventoux. Dass er tatsächlich oben war, gilt als wahrscheinlich, da er die Konturen des Berges und insbesondere den Ausblick vom Gipfel konkret beschreibt. Da damals keine anderweitigen Quellen zur Hand waren, kann er diese Erkenntnisse nur selbst gewonnen haben.

Avignon Fernsicht Alpenausläufer

Petrarcas Bericht gilt als bedeutsam, da er den Blick des Menschen auf die Natur richtete und das Bergsteigen als eigenständiges „Erlebnis“ definierte. Zugleich berichtet er über seine Reflektionen während des Aufstiegs, was bis heute für viele Bergjournalisten charakteristisch geblieben ist. Zugleich nutzt Petrarca den Bericht, um seine geistlichen Erkenntnisse und seine von Augustinus geprägte theologische Haltung kund zu tun. Auf dem Höhepunkt der Bergtour und des Berichts – auf dem Gipfel des Mont Ventoux – schlägt Petrarca die von ihm hochgeschätzten „Bekenntnisse“ (Confessiones) des Augustinus auf und liest dort die berühmten Zeilen: „Da gehen die Menschen, die Höhen der Berge zu bewundern und die gewaltigen Fluten des Meeres, das Fließen der breitesten Ströme, des Ozeans Umlauf und die Bahnen der Gestirne – und verlieren dabei sich selbst.“

Hieraus zieht Petrarca den Schluss, dass das Trachten des Menschen nicht auf Äußerlichkeiten – auch nicht auf die „Bezwingung“ von Bergen – gerichtet sein soll; vielmehr wird dem Menschen Erfüllung nur zuteil, wenn er sich mit ganzer Kraft und ganzer Seele seiner selbst gewahr wird und sein Leben dem Glauben und der Annäherung an Gott widmet. Konsequent schildert Petrarca denn auch nach diesem Erweckungserlebnis nicht mehr den Abstieg, sondern betont sogar, dass er auf dem ganzen Abstieg selbst kein Wort mehr gesprochen habe. So endet der abenteuerlustige Aufbruch in die Natur mit einer kontemplativen Reise ins eigene Innere.

Lesen Sie auch den ausführlichen Bericht auf „Bergzitat“Petrarcas Besteigung des Mont Ventoux

Katrin v. Mengden-Breucker & Marius Breucker

Über Stift und Stein – was Schriftsteller und Bergsteiger verbindet

Berge sind feste Größen. Auch wenn wir von Geologen wissen, dass sich Berge aufgrund anhaltender tektonischer Verschiebungen der Erdplatten millimeterweise heben oder senken, sind sie doch der Inbegriff des Unverrückbaren. Veränderlich aber ist unser Blick auf die Berge. Dieser ist durch die Kultur und nicht zuletzt die Literatur geprägt. Unsere Annäherung an die Berge beginnt mit den Beschreibungen von Bergen und den ersten Versuchen ihrer Besteigung.

Schriftsteller Berge Buch - Katrin von Mengden Brecker Blog

Nicht nur in kulturellen Hinsicht sind Schriftsteller und Bergsteiger einander verbunden: Beide begegnen, wenn sie ihre Tätigkeit ernst nehmen, früher oder später dem eigenen Ich, blicken in ihr Inneres und stoßen dabei oft auf neue, unvermutete Empfindungen. Der Literat bringt sie zu Papier. Der Bergsteiger läuft gleichsam durch sie hindurch und kehrt körperlich erschöpft, aber mental gestärkt von seiner Tour zurück. Dies erklärt die Zufriedenheit von Bergsteigern selbst dann, wenn ihnen der Gipfel verwehrt bleibt. Und auch Schriftsteller kennen das Gefühl, dass sie trotz härtesten Ringens mit einem Text erschöpft den Stift fallen lassen und den Versuch, jedenfalls für diesen Tag, abbrechen müssen.

Berggipfel - Katrin von Mengden Brecker Blog

Der Schweizer Schriftsteller Emil Zopfi kennt beide Perspektiven: Er klettert und schreibt über Berge und beschreibt einfühlsam die Kultur des Bergsteigens, die sich bei aller physischer Anstrengung doch von sportlicher Tätigkeit unterscheidet: „Die Idee, dass eine Bergspitze ein erstrebenswertes Ziel sein könnte, für das sich Mühe und Gefahr lohnen, nimmt erst durch ihre literarische oder künstliche Darstellung Gestalt an. […] Bild und Bericht öffnen den Weg für die Nach- und Weitersteigenden. Klettern wird zu einer Art Lesen […]« (Emil Zopfi, Dichter am Berg, Alpine Literatur aus der Schweiz, Zürich 2009, Seite 13).

Schreiben - Katrin von Mengden Brecker Blog

Emil Zopfi schreibt aus eigenem Erleben. Zugleich portraitiert er in „Dichter am Berg“ schreibende Bergsteiger und steigende Literaten, darunter Hermann Hesse. Dieser beschreibt die Empfindungen, die Natur und Landschaft, Luft und Licht hervorrufen und vergleicht sie mit der Freude an der Lektüre eines Gedichtes: „Die Abwechslung von Fels und Schnee, besonnten Kanten und dunklen Schlünden an einer Gipfelkette, der launische Weg, den ein kleiner Wolkenschatten über diese zackige und zerklüftete Vielfalt hin beschreibt, können einen fesseln und entzücken wie die Rhythmen und Zäsuren eines Gedichtes.“

(Hermann Hesse, Rigi-Tagebuch, August 1945, in: Michels, Volker (Hrsg.): Hesse, Sämtliche Werke in 20 Bänden, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, Band 11, Autobiographische Schriften I, Wanderungen – Kurgast – Die Nürnberger Reise – Tagebücher, 2001, Seite 720).

Katrin von Mengden-Breucker & Marius Breucker

Weitere Zitate aus Emil ZopfisDichter am Berg“ und Gedanken zur Wechselwirkung zwischen Bergsteigern und Schriftstellern finden Sie auf der Seite „bergzitat“ von Katrin von Mengden-Breucker unter http://www.bergzitat.de/2016/06/schreiben-und-steigen-bergsteigen-und-literatur-bei-emil-zopfi/